Viel Arbeit und Entbehrung im Paradies (Teil 1)

Viel Arbeit und Entbehrung im Paradies (Teil 1)

Franz

Dieses Mal will ich aus meiner Warte über meine Erlebnisse in Carriacou berichten. Nach unserer gemeinsamen Atlantiküberquerung im Mai hatten Michi und ich uns auf die anstehenden Arbeiten auf unserer Aton vorbereitet. Während Michi ihrer Arbeit als Bilanzbuchhalterin nachging und gleichzeitig sich um ihre Eltern gekümmert hat, führte ich den Haushalt in unserer kleinen Wohnung in Hochzoll, kochte und ging einkaufen. Nebenbei organisierte ich aber auch meinen geplanten Aufenthalt auf unserem Schiff. Ersatzteile besorgen, Zugfahrt und Flug buchen, Übernachtungen in London sowie in St. Georges (der Hauptstadt von Grenada) buchen, Transferfahrten zwischen den beiden Flughäfen in London organisieren. Es war eine Menge Arbeit. Erschwerend kam noch die Situation der steigenden Covid-Erkrankungen dazu, welche eine sichere Planung schier unmöglich erscheinen ließ. Mitte Oktober hieß es dann Abschied von unserer Familie, sowie insbesondere von Michi zu nehmen und dies für eine sehr lange Zeit.

Es war ein regnerischer Herbstmorgen, als ich mit zwei sehr schweren Koffern und einem Rucksack als Handgepäck an der Bushaltestelle vor unserem Haus stand und nach kurzer Wartezeit in Richtung Hauptbahnhof fuhr. Das triste Wetter spiegelte meinen inneren Abschiedsschmerz wider. Nach einer mehrstündigen Zugfahrt kam ich am Flughafen in Frankfurt an. Selbst einem durchaus kräftigen Kerl wie mir viel es schwer, die ausgesprochen schweren Gepäckstücke herumzutragen (die Gepäcktrollis durften nach einer Fahrt mit einem Zubringerzug nicht auf eine Rolltreppe mitgenommen werden). Am richtigen Schalter angekommen, hatte sich eine sehr lange Menschenschlange gebildet. Nach zirka einer halben Stunde hatte ich endlich mein Gepäck aufgegeben und konnte mich freier bewegen. Nachdem ich auch das Boarding hinter mich gebracht hatte und auf meinem Sitzplatz saß, viel der größte Teil meiner Anspannung ab. In London angekommen wuchtete ich mein Gepäck zu einer Bushaltestelle und bestellte mir ein Huber-Taxi, welches mich nach längerer Suche zu meiner gebuchten Unterkunft in der Nähe vom Flughafen Gatwick brachte. Am nächsten Morgen wieder dasselbe Spiel: Zum Flughafen fahren, Gepäck einchecken, auf das Boarding warten und schließlich Richtung Grenada fliegen.

Nach einem mehr als zehnstündigen Flug kam ich schließlich in Grenada an, alleine mit reichlich Gepäck, ohne meine Liebste. Es war Abend, heiß und es regnete. Per Taxi fuhr ich zu meiner Unterkunft und bezog mein gebuchtes Zimmer. Allerdings war ich in Quarantäne. Ich musste auf das Ergebnis des PCR-Testes am Flughafen warten, der bei meiner Ankunft gemacht worden war. Meinen Wohnungsvermieter beauftragte ich, mich mit den nötigsten Lebensmitteln zu versorgen, was dieser auch sofort erledigte. Bereits am übernächsten Tag wurde ich via WhatsApp von den Behörden benachrichtigt, dass mein Test negativ (also kein Covid) ausgefallen war. Es war ein Sonntag, an dem natürlich auch keine Fähre nach Carriacou ging. Somit nutzte ich den Tag und ging bummeln. Während ich die Straßen entlanglief, kamen all die Erinnerungen in mir hoch, die ich zusammen mit Michi, Daniel und unserer Schwiegertochter Alexandra bei unserem letzten Besuch auf der Insel verinnerlicht hatte. Nach ein paar Einkäufen ging ich zurück zu meiner Behausung und genoss die Abendstimmung in der Karibik. Am folgenden Morgen organisierte ich mir ein Taxi und ließ mich zum Fährterminal fahren. Dort angekommen klärte mich das dortige Personal auf, dass ich trotz des negativen Covid-Befundes eine uneingeschränkte Reiseerklärung des Gesundheitsministeriums benötige, um die Fähre nach Carriacou benutzen zu können. Da dankenderweise mein ausgesprochen freundlicher Taxifahrer auf mich gewartet hatte (anscheinend wusste er, dass in diesen Zeiten eine bloße Fährfahrt zu einem organisatorischen Albtraum werden kann), packte ich all mein Gepäck wieder in das Auto und wir fuhren zum Gebäude des Gesundheitsministeriums. Dort angekommen erfragte ich, wo ich denn mein benötigtes Dokument bekommen würde. Nach einem enormen Hin und Her hatte ich nach geschlagenen 40 Minuten das Papier in meinen Händen. Der Taxifahrer, der die gesamte Zeit gewartet hatte, fuhr mich danach umgehend zur Fähre. Dort half er mir mit dem schweren Gepäck und ging anschließend mit mir noch zum Ticketschalter, um sicherzugehen, dass ich nicht nochmal abgewiesen wurde. Als Entlohnung für seine Mühe verlangte er schließlich einen Betrag, der der Summe von etwa fünfzig Euro entspricht. Da war ich einfach nur sprachlos!  Danke!

Endlich saß ich auf der Fähre in Richtung unseres Schiffes. Es war später Nachmittag, als die Fähre ablegte und mit Vollgas nach Carriacou fuhr. In Gedanken stöberte ich in meinen Erinnerungen, als wir vor fast zwei Jahren unser Schiff verließen. Wie wird sie nun aussehen, nach all der langen Zeit. Wie würde ich die anstehenden Arbeiten an unserer Aton alleine bewältigen können. Wie würde ich die lange Zeit bis zum Eintreffen meiner Liebsten überstehen. Während ich gedankenverloren vor mich hinstarrte, nahm ich nur nebulös die grandiose Landschaft von Grenada wahr, an der die Schnellfähre in der Abenddämmerung entlangfuhr. Als nach einer gefühlten Ewigkeit das Schiff am Nordende der Insel aus der Landabdeckung in die offene See kam, begannen große Wellen gegen den Rumpf zu schlagen. Bei einigen der Passagiere zeigten sich Anzeichen von Unwohlsein. Das Schiff schlingerte stark und zu dem brüllenden Geräusch des Motors gesellte sich das explosionsartige Knallen der Wellen, die gegen den Rumpf krachten. Etwa eine weitere Stunde später wurde das Schiff ruhiger, die Schlingerbewegungen ließen nach und vor uns tauchten in der Dunkelheit (die Sonne war bereits vor mehr als eineinhalb Stunden im Meer versunken) die Lichter eines Ortes in Carriacou auf. Die Geschwindigkeit der Fähre wurde merklich gedrosselt. Mit langsamer Fahrt glitt das Schiff in Richtung Hafenmole. Nachdem die Fähre schließlich angelegt hatte und die Gangway ausgebracht war, packte ich mein Gepäck und zerrte es zu einem heruntergekommenen Kleinbus, der als Taxi ausgeschildert war. Von unserem letzten Besuch in Carriacou wusste ich zwar, dass die Aton quasi in Spuckweite des Fähranlegers ihren Standplatz hatte, aber aufgrund des Gewichtes meiner Taschen und dem „nicht vorhanden sein“ eines Gehweges entschied ich mich dazu, die sehr kurze Strecke zu fahren. Der Fahrer half mir beim Einladen. Anschließend fuhr er mich etwa zweihundert Meter zu unserem Schiff und verlangte umgerechnet etwa fünfzehn Euro dafür. So unterschiedlich ist es, in der Karibik Taxi zu fahren. Was solls.

Und da stand sie, die Aton. Endlich war ich angekommen. Da ich bereits am Vorabend die Marina von meinem Eintreffen informiert hatte, war eine Leiter am Heck des Schiffes angebracht worden. Ich kletterte nach oben und fand den Schlüssel für das Schloss am Niedergang am vereinbarten Ort. Ich öffnete das Schott. Der muffige Geruch von abgestandener Luft empfing mich. Ich kletterte hinein. Der Salon war wie erwartet vollgestellt mit Segelsäcken, dem zusammengefalteten Dinghi und vielen anderen Dingen, die wir damals in aller Eile im Schiff verstaut hatten. Ich war müde von der langen Fahrt und hatte eigentlich keine Lust. Aber um mich einigermaßen bewegen und mein Bett beziehen zu können, musste ich all das heute noch auf das Deck der Aton verfrachten. Nach einer weiteren Stunde harter Schufterei hatte ich die meisten Dinge soweit auf dem Deck verstaut, dass ich zumindest den Esstisch frei hatte und das Schlafzimmer erreichen konnte. Als nächstes holte ich die Moskitonetze und deckte damit die Dachluken und den Eingang ab. Zu guter Letzt machte ich mir mein Bett und schlief sehr schnell ein. Nach wenigen Minuten nahm ich das Surren von Mücken wahr. Und was soll ich sagen. Von da an begann mein nächtlicher Kampf gegen diese Plagegeister, der die folgenden zehn Wochen andauern sollte.

Am nächsten Morgen räumte ich das Schiff auf und verstaute die an Deck befindlichen Ausrüstungsgegenstände unter Planen, die ich auf dem Schiff aufspannte. Auch über dem Cockpit montierte ich ein Sonnensegel, damit ich etwas Schatten hatte. Bereits um zehn Uhr vormittags hatte sich eine enorme Hitze (32° Celsius bei etwa 90% Luftfeuchtigkeit) entwickelt. Hinzu kam, dass die Marina hinter einem Berg lag, was den normalerweise stetig blasenden Passatwind umleitete und für nahezu ständige Windstille sorgte. Als Resultat entwickelte sich bereits ab etwa zehn Uhr eine enorme Hitze die erst etwa gegen vier Uhr nachmittags wieder auf erträgliche 28°C sank. Somit hieß es ab sofort: sehr früh aufstehen, soviel wie möglich erarbeiten, ab elf Uhr Siesta bis vier, dann nochmals arbeiten bis Sonnenuntergang (hier in den Tropen ist das 18:00 Uhr abends) und dann endlich „Feierabend“! Ab nun schlich sich eine Routine ein, die sich täglich wiederholte. Die Mittagszeit, in der ich pausierte nutzte ich, um mit meiner Liebsten zu Hause zu telefonieren. Der schönste Moment am Tag war (nach dem Telefonat natürlich) die tägliche Dusche nach getaner Arbeit. Danach öffnete ich eine Flasche des örtlichen Bieres (Stag oder Carib, nicht ungenießbar aber mit nahezu zwei Euro pro Flasche 275ml extrem sportlich, was den Preis angeht). Dennoch genoss ich es in vollen Zügen. Nachdem ich mich mit „Anti-Mücken-Spray“ ausreichend eingedieselt hatte, setzte ich mich Abend für Abend auf das Afterdeck unseres Schiffes und war jedes Mal verzückt von den atemberaubenden Sonnenuntergängen. Um mich selbst zu motivieren, sagte ich mir ständig: du bist hier in den Tropen, während deine Freunde und deine Familie in der Kälte Deutschlands ausharren müssen, genieße es und sei froh. Aber dennoch war da im Hintergrund ein fader Nachgeschmack. Nach etwa einem Monat Aufenthalt hier auf dem Marina-Gelände hatte ich immer noch keine neuen Freunde gefunden (eine ganz und gar neue Erfahrung für mich, da ich normalerweise ein sehr kontaktfreudiger Mensch bin und in der Regel sehr schnell mit Fremden ins Gespräch komme). Über die Jahre die wir nun zusammen gesegelt sind, haben wir (Michi und ich) uns ein ziemlich gutes und konversationssicheres Englisch angeeignet. Aber hier auf dem Gelände der Marina war französisch eindeutig die dominierende Sprache (und das obwohl die gesprochene Landessprache Englisch ist). Eines Tages konnte ich auf dem Nachbarboot Aktivität feststellen. Drei jüngere Leute (zwei Mädels und ein etwa fünfunddreißig-jähriger Mann) begannen, deren Boot herzurichten. Ein beim Vorbeigehen schnell zugeworfenes „Good Afternoon“ quittierten sie mit einem „Good Afternoon, brother“. Was soll ich sagen, nach ein paar Minuten Gequatsche war klar; mit denen komme ich klar! Kurz darauf trafen wir uns auf deren Boot zum „Sundownern“. Patto (so heißt der männliche Part), Julie und Beatrice (Beatka, sie ist eine Slovakin) begrüßten mich, als wäre ich schon immer einer ihrer besten Freunde. Im Moment des Sonnenuntergangs zog Patto eine Conch-Muschel hervor und bliess in sie, sodass der trötende Ton zu Tage kam, der mir schon von den Exumas bekannt war. Bei Rum-Punsch, Bier und anderen Köstlichkeiten erzählten wir uns unsere Geschichten. Patto und Julie waren Kanadier, die sowohl ein perfektes Englisch, ein perfektes Französisch, als auch ein perfektes Spanisch (beide lebten mehrere Jahre in Mexiko und betrieben da eine Kite-Schule). Der Abend verlief harmonisch und uns war sehr schnell klar, das passt. Da Patto und Julie auch hier seit Jahren eine Kite-Schule betrieben und somit mehr oder weniger „Locals“ waren, hatte ich durch sie beide plötzlich Zugang zu deren Netzwerk. Von nun an ging alles deutlich einfacher. Bei deren Partys traf ich wieder andere Leute und langsam integrierte ich mich in diese Blase aus Insulanern, Seglern und Touristen. Ab nun war alles möglich.


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