Atlantik – Woche 2

Atlantik – Woche 2

Tag 8:

Nach dem Sturm, wie kann es anders sein, folgten wieder lange Phasen von sehr wenig Wind. Wir dümpelten fast auf der Stelle und die Segel schlugen in den Wellen hin und her. Das tut einem in der Seele weh, weil das Material sowohl der Segel, als auch des gesamten Riggs sehr ermüdet wird. Simon fand auf dem Vorschiff einen Bolzen, was uns allen sehr große Sorgen machte. Woher kam der? Da wird doch hoffentlich nichts Wichtiges am Mast im Sturm gebrochen sein? Das ist der absolute Albtraum jedes Seglers. Viele Stunden grübelten wir darüber nach, was das Problem sein könnte. Sobald wir eine ruhigere See hatten, krabbelte Rachel aufs Vordeck und kontrollierte alles. Erst sah sie nichts Auffälliges, dann entdeckte sie, dass der Bolzen einer Rolle der Reffeinrichtung unseres Vorsegels abgebrochen  war. Somit war die Herkunft des Bolzens geklärt. Der Schaden konnte schnell behoben werden und die Erleichterung war unbeschreiblich.

Nachmittags nimmt der Wind dann zu. Wir genießen die Sonne und sind bester Laune. Die Princess wird von der langen Atlantikwelle auf- und ab bewegt und schneidet elegant durch die Wellen. Rachel lässt ihre playlist laufen und wir tanzen zu Queen im Cockpit. In solchen Momenten ist jeder Sturm, jeder blaue Fleck, jede schlaflose Nacht und jeder Küchenunfall wieder vergessen. Es ist einfach nur schön, in der Mitte des riesigen Atlantiks dahin zu segeln, Corona und all die anderen Alltagssorgen weit weg zu wissen, und auf die heranlaufenden Wellen zu sehen.

Immer wieder beobachten wir Vögel, die es bis hierher, über 1000 sm vom nächsten Land weg, geschafft haben. Wenn man bedenkt, dass wir dafür gut eine Woche gebraucht haben, ist das eine enorme Leistung. Sie lassen sich elegant vom Wind treiben und schießen hin und wieder ganz knapp über der Wasseroberfläche dahin.  In den Wellentälern kann man sie dann oft gar nicht mehr sehen.

 

Tag 9:
Ein absolut traumhafter Segeltag. Die Sonne schickt uns wärmende Strahlen. Eine Wohltat, denn mittlerweile haben wir uns so weit nach Norden hochgearbeitet, dass es schon merklich kühler geworden ist. Noch werde ich mit meinen Socken und Schuhen belächelt, aber es wird nicht mehr lange dauern, und alle werden mir folgen.

Heute gibt es eine leckere Karotten-Suppe. Als wir gerade um den Tisch im Salon sitzen und Karotten schnippeln, geht eine besonders hohe Welle über das Vorschiff. Da unser Salon-Fenster ein bisschen geöffnet ist, bekommen wir alle eine ordentlich Salz-Spülung. Nachdem Franz gestern beim Essen unter Deck eine Bierdose umgefallen ist, die er nicht festgehalten hat, nun also Salz auf Bier im Salon überall. Lecker.

Tag 10:
Heute ist wieder ein sehr schöner und ruhiger Segeltag. Keine Squalls und eine sehr angenehme, lange Welle, dazu Sonne und den ganzen Tag 6 Knoten Fahrt. Es fühlt sich fast an, wie Bus fahren.

Simon sitzt stundenlang am Laptop und versucht, das Wetter herunter zu laden. Das dauert extrem lange, da er es über das Iridium Satelliten-System machen muss. Je größer er das Gebiet wählt, und je mehr Informationen (z. B. Strömung, Wellen etc.) er anfordert, umso länger dauert es. Aus den 5 wichtigsten Wetter-Diensten versucht er dann, die für uns beste Route zu ermitteln. Da sich die  Hochs und Tiefs jedoch ständig verändern und wandern, muss die Route immer wieder angepasst werden. Den Weg, den man heute einschlägt, kann man unter Umständen morgen schon wieder durch einen neuen Kurs ersetzen müssen.

Mittlerweile hat Simon einen derartigen Schlaf-Rückstand, dass wir vereinbaren, dass ich eine Wach-Schicht von 4.oo Uhr bis 8.oo Uhr übernehme, und er als Springer zur Verfügung steht, wenn wir ihn brauchen. Als für das Schiff und die Crew verantwortlicher Skipper hört er auch im Schlaf jedes ungewöhnliche Geräusch und kommt dann oft ins Cockpit, um nach dem Rechten zu schauen. Dazu kommt noch, dass er, wie ich und Reni auch, nicht auf Knopfdruck schlafen kann. Diese sehr nützliche Gabe haben nur Franz und Rachel.

Tag 11:

Das schöne Wetter bleibt uns treu und wir haben wieder das, was Simon „Champagner Sailing“ nennt. Wir gleiten mit 5-6 Konten durch das Wasser und die Atlantik-Welle hebt uns ganz gemächlich auf und ab. Genug Zeit, um zu lesen, zu schreiben, zu träumen, oder einfach nur auf diese unfassbare Wasserfläche zu schauen. Man glaubt es nicht, aber das wird irgendwie nie langweilig. Immer neue Wolkenbilder formieren und ändern sich und die Sonne zieht eine glitzernde Bahn über das Wasser. Ab und zu  kann man Vögel beobachten, während man so gut wie nie andere Schiffe sieht. Nur ein paar Mal haben wir in der Ferne Frachter gesehen, oder auf unserem Radar beobachtet.

Wir haben beschlossen, heute unser Bergfest zu feiern. Da wir natürlich weder die genaue Strecke, noch die genaue Fahrtzeit wissen, ist der Zeitpunkt wahrscheinlich eher etwas zu optimistisch. Aber was soll`s. Wir können ja in ein paar Tagen noch einmal feiern. Es wird zum Diner Cordon bleu mit Kartoffelsalat geben. Yummi! Da wir kaum Krängung haben, werden die Kartoffeln im Cockpit geschält und Franz klopft die Schnitzel im abendlichen Sonnenlicht. Wie romantisch.

Gerade als Franz und ich dabei waren, die Cordon Bleu zu braten, ging die Sonne spektakulär unter. Rachel, Simon und Reni beobachteten, wie die Sonne ausnahmsweise ohne von Dunst oder Wolken verdeckt zu sein, hinter dem endlosen Horizont verschwand. Auf einmal hörten wir sie begeistert über den ungewöhnlich langen Green-Flash reden, den sie gesehen hatten. Bei klarem Wetter kann man manchmal einen grünen Farb-Strahl aufblitzen sehen, genau da, wo die Sonne einen Lidschlag vorher untergegangen ist. Manche Segler haben noch nie einen gesehen, Franz und ich jeweils schon vorher, aber dieser war wohl besonders schön. Schade, dass wir abgelenkt waren. Immerhin waren die Cordon Bleu und der Kartoffelsalat mega-lecker. Wir stoßen mit einem guten Glas Weißwein an (danke, Reni) und lassen es uns so richtig schmecken. Die deutsche Küche kommt bei unseren englischen Gastgebern sehr gut an. Nur ab und zu gibt es für die beiden einen Toast mit Marmade (eine Art salzige Maggi-Paste) und gekochtem Ei als Zwischen-Snack.

Tag 12:

Während Franz` Nachtwache hat sich der Motor der Rollreff-Einrichtung im Mast verabschiedet. Das heißt, urplötzlich konnte man das Großsegel nicht mehr ein- noch ausrollen. Nach mehreren Versuchen konnten Simon und Franz das Segel mit Muskelkraft bis auf die Hälfte reffen, also verkleinern. Da kann bei plötzlich auftretendem Starkwind schon mal nicht mehr viel schiefgehen.
Danach schickte Simon alle ins Bett. Als der Wind dann auch komplett einschlief, beschloss er, alle Segel einzuholen, das Boot driften zu lassen, und ebenfalls etwas zu schlafen. Die Müdigkeit und Erschöpfung holten ihn nun wirklich auch ein. Warum er nicht einen von uns weckte, um Wache zu gehen, weiß ich nicht. Auf jeden Fall wollte er gerade im Cockpit alle Geräte ausschalten und sich hinlegen, als er zwei (!) Schiffe sah. Eines davon kreuzte unseren Kurs in gerade Mal 1,5 sm Entfernung. Sofort war er wieder hellwach und blieb im Cockpit, warum er auch den danach wieder aufkommenden Wind registrierte.

Als ich um 4.oo Uhr meine Wache antrat, hatte er die Genua gesetzt und wir machten gut 6 Knoten Fahrt bei gerade einmal 15 Knoten Wind. Die See war immer noch flach und ein bezaubernd schöner Morgen erwartete mich.

Simon zeigte auf schwimmende, weiß und durchsichtig glitzernde Objekte, die zu hunderten im blauen Atlantik schwammen. Auf den ersten Blick dachte man, es wären Plastik-Teilchen, aber bei genauerem Hinsehen war es etwas ganz anderes. Ein kleines, halbrundes Segel stand aufrecht im Wasser, halb durchsichtig und in der Sonne schillernd wie eine Seifenblase. Der Rand dieses Segels war zart rot eingefasst und unter Wasser hingen noch einige Schnürchen in die Tiefe. War das eine Art Fisch? Oder Qualle? Als Rachel aufstand, holte sie ihr Fisch-Bestimmungs-Buch und wir fanden bestätigt, was wir inzwischen vermuteten: es waren Portugiesische Galeeren. Eine der giftigsten Quallenarten der Welt. Sie segeln mit ihrem handflächengroßen Auftriebskörper an der Wasseroberfläche und lassen ihre Tentakel, die mehrere Meter lang sind, nach unten hängen. Stößt ein Fisch daran, wird er augenblicklich durch das Nesselgift getötet und die Qualle verdaut anschließend die Beute. Gestern noch hatten wir davon geredet, dass ich in dem Flautengebiet, das wir demnächst laut Wetterbericht passieren werden, bei einer Null-Wind-Phase gerne ein bisschen im Atlantik schwimmen würde. Ich glaube, das lass ich lieber bleiben. Diese Quallen sollten uns noch die nächsten Tage in einem Gebiet größer als die Bundesrepublik zu Tausenden begleiten.

Eine andere, sehr besondere Begegnung ereignete sich kurz darauf. Franz und ich saßen neben-einander im Cockpit und beobachteten die vorbeirauschenden Wellen, als wir plötzlich beide gleichzeitig eine Wasserfontäne und einen grauen Rücken in etwa 400 m Entfernung sahen. „Ein Wal!“ riefen wir beide und sofort kam der Rest der Crew, die gerade alle versuchten, Schlaf nachzuholen, aus ihren Kajüten ins Cockpit getapst. Immer wieder konnten wir die Atem-Fontäne sehen, und auch den Rücken an der Wasseroberfläche. Leider hatte es die Princess sehr eilig (was wir sonst sehr an ihr schätzen) und wir überholten ihn. Noch lange konnten wir ihn achteraus blasen sehen und freuten uns sehr, dass wir dieses Schauspiel erleben durften.

Franz:

Für den technischen Part unserer Reise hat Michi mich gebeten, einige Sachverhalte zu erklären, die die Schiffstechnik betreffen. Ein altes Sprichwort sagt: segeln bedeutet, repariere dein Schiff an den exotischsten Plätzen der Welt. Bei uns hieß das, mitten auf dem Atlantik. Nachdem wir bereits in Sint Maarten unseren Autopiloten erneuern mussten, sind wir auch während unserer Passage über den Atlantik nicht von diversen Systemausfällen verschont geblieben. Bereits am zweiten Tag unserer Reise viel uns auf, dass unser Tiefenmesser im mehrere tausend Meter tiefem Wasser immer wieder Untiefen anzeigte. Anfangs vermuteten wir, dass Fische oder Unrat für die Fehlmessungen verantwortlich waren, die nahe dem Tiefenmess-Sensor mitschwammen. Doch die Vielzahl dieser fehlerhaften Anzeigen ließen daran Zweifel aufkommen. Mit der Zeit wurden daraus nervenaufreibende Anker-Alarme (bei einer Wassertiefe von weniger als  2,7 Meter ertönt ein Alarmton, der sich alle 30 Sekunden wiederholt). Leider war der Tiefenmess-Sensor im Schiff sehr schwer zu erreichen, da jeder Hohlraum mit Lebensmitteln verfüllt war. Aus diesem Grunde musste dieser Fehlalarm von Zeit zu Zeit resettet werden, eine sehr nervige Angelegenheit, da das Piepsen mitunter in Abständen von nur wenigen Sekunden von Neuem anfing.

In etwa auf halbem Weg merkten wir, dass sich der Elektromotor der Roll-Reff-Einrichtung von Mal zu Mal schwerer tat, dass Großsegel in den Mast einzurollen. Und eines Nachts gab er schließlich mit halb eingerolltem Segel auf. Zu unserem Glück flaute der Wind ab und auch die Wellen waren zu diesem Zeitpunkt sehr moderat. Schließlich konnten wir mittels eines Adapters und eines Akkuschraubers das Segel per Hand einrollen. Von da ab ließen wir das Großsegel gerefft stehen, um diese Prozedur nicht noch einmal wiederholen zu müssen.

Zwei Tage später hörte Simon ein klopfendes Geräusch, wenn der Autopilot seine Arbeit verrichtete. Eine spätere Überprüfung unserer Ruderanlage (Lenkung) ergab, dass eines der Lager unseres Ruderschaftes Spiel aufwies. Da Simon Angst hatte, bei weiterer Betätigung des Autopiloten dieses Spiel im Lager zu vergrößern, entschied er sich dafür, ab diesem Zeitpunkt händisch zu steuern. Für uns hieß es ab dann, zwei Stunden steuern, sechs Stunden Pause. Das hieß, zwei Stunden lang am Steuer zu sitzen, immer auf die Windmess-Anzeige oder den Kompass zu starren, und zu versuchen, das Schiff im richtigen Winkel zum Wind zu halten. Sobald man, verursacht von Wellen, die seitlich auf das Ruderblatt prallen, ein bisschen zu viel vom richtigen Winkel abkam, hatte man so viel Winddruck im Segel, dass man zu schaffen hatte, wieder zurückzusteuern. Das war vor allem nachts sehr anstrengend, da dann auch noch die Müdigkeit dazukam.


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